Emanuels Geschichte

«Plötzlich waren die Gewissheiten meines bisherigen Lebens weg.»

Emanuel hatte als Informatiker gute berufliche Perspektiven. Doch der Alkohol und Depressionen machten diese zunichte. Nach verschiedenen Entzügen in Kliniken und ebenso vielen Rückfällen sucht der 39-Jährige nun in unserer Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli einen Weg aus der Sucht. Er kämpft um Abstinenz und eine nochmalige Chance im Leben.

«Es gibt Tage, an denen fühle ich mich gut. Dann brauche ich keinen Alkohol», sagt Emanuel. Aber irgendwann komme der Moment, wo er zur Flasche greife und zu trinken beginne. Dann gibt es für den gut aussehenden Mann kein Mass mehr. Er trinkt bis zur Bewusstlosigkeit. Einmal wurde er mit 5,2 Promille im Blut ins Spital eingeliefert. Er überlebte. «Bis 2 Promille funktioniere ich unauffällig. Dann verliere ich allmählich die Beherrschung, werde laut und aggressiv», weiss er aufgrund der vielen Berichte und seiner zahlreichen Entzüge. Er selbst kann sich jeweils nicht an die Abstürze erinnern. Mehrmals kostete ihn sein Komatrinken die Wohnung.

«Ich beginne zu trinken, wenn ich antrieblos und unsicher bin – und wenn ich mich einsam fühle», sagt er. Die Vereinsamung – sie ist zunehmend Emanuels Begleiterin und wird mit jedem Absturz drückender. Und Nährboden für den nächsten Absturz. Ein Teufelskreis, aus dem Emanuel nicht ausbrechen kann. «Meine Freundin verlor ich, weil sie meine suchtbedingten Ausfälle nicht mehr länger ertragen konnte. Was ich absolut verstehe – ich hätte mich selbst auch nicht mehr ausgehalten.» Nicht nur seine Freundin verliess ihn, auch seine Freunde und teils seine Familie gingen wegen seines Alkoholkonsums auf Distanz zu ihm. Auch dies für ihn nachvollziehbar. Sein soziales Beziehungsnetz besteht heute noch aus seiner Mutter und einer Schwester. «Ich bin für niemanden interessant, weil mein einzig wirkliches Interesse der Alkohol ist.» Emanuels erstaunliche Analysefähigkeit und Selbsterkenntnis, aber auch seine Verzweiflung und Hilflosigkeit berühren.

Mit 14 hatte der im Zürcher Oberland Aufgewachsene zu kiffen begonnen. Mit 25 löste der Alkohol Cannabis allmählich ab. Ausgelöst worden sei seine Suchtverlagerung wohl durch ein zu spät diagnostiziertes Burnout, so Emanuel. Nach der Rekrutenschule und der Ausbildung zum Programmierer hatte Emanuel auf dem Beruf gearbeitet. In jener Phase nahmen sein Alkoholkonsum massiv zu und seine Leistungen ab. Bis er entlassen wurde, als er eines Tages sternhagelvoll zur Arbeit erschien. Es folgten verschiedene Aufenthalte in Entzugskliniken, die allesamt in Rückfällen endeten. «Plötzlich waren alle Gewissheiten und mein bisheriges Leben weg.» Emanuel stand vor dem Nichts. In Pfarrer Siebers Notwohnsiedlung Brothuuse fand er Unterschlupf. Heute ist das Ur-Dörfli, die Suchthilfeeinrichtung von Pfarrer Siebers Sozialwerk, sein Daheim. «Die Leute hier sind wunderbar. Sie unterstützen mich soweit sie können. Dafür bin ich ihnen dankbar.» Mit Einsätzen im Haushalt und bei Umgebungsarbeiten engagiert sich Emanuel fürs Haus. Wenn er denn nüchtern ist. Im Ur-Dörfli sieht er seine letzte Chance, es nochmals zu packen. Allerdings ist sein Selbstvertrauen nur noch homöopathisch. Vor allem die berufliche Perspektivlosigkeit entmutig ihn. «Einen 39-jährigen Alkoholkranken will niemand in seinem Betrieb, das verstehe ich.»

Und doch gibt es einen Hoffnungsschimmer. Ein ihm wohl gesonnener Unternehmer hat Emanuel eine Stelle als Informatiker in Aussicht gestellt. Vorausgesetzt, er kann seinen Alkoholkonsum in Schach halten oder gar überwinden. Die sofortige Abstinenz traut sich Emanuel nicht mehr zu. In kleinen Schritten aber könnte es klappen. Kontrolliertes Trinken nennen es Fachleute. Emanuel vertraut dabei den Mitarbeitern des Sozialwerks Pfarrer Sieber. Mit ihrer Unterstützung will er alles dafür tun, dass die Sucht sein Leben nicht ganz zerstört. Und er seine letzte Chance packt.

Wenn alles schief läuft, richten wir auf.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!